[Welt] Ob sie als Soziopath, Egomane, Narzist oder Asperger bzw. Autist bezeichnet werden, hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Fakt ist, Leute mit Alexithymie können Gefühle nicht adäquat wahrnehmen. Wenn sie z. B. traurig sein müssten, werden sie wütend anstatt zu weinen. Oder falls sie Muskelkater von einer ungewohnten körperlichen Anstrengung bekommen, können sie den Schmerz nicht richtig einordnen. Sie glauben, eventuell schwer krank zu sein. Auch, wenn sie gemein zu ihren Mitmenschen sind, tut ihnen das nicht leid. Denn sie empfinden keine Reue, weil sie nicht verstehen, dass sie anderen weh tun. Empathie ist ihnen fremd.
Woher diese Störung kommt, die nach Schätzungen 10-20 % unserer Bevölkerung betrifft, ist noch nicht ausreichend erforscht. Intellektuell sind die Betroffenen übrigens nicht eingeschränkt. Doch Erklärungen zu ihrer "geringen emotionalen Intelligenz" helfen meistens nicht. Im Gegenteil, sie empfinden sie als beleidigend und das macht ihnen Angst. Da sie dieses Gefühl aber auch nicht richtig einorden können, distanzieren sie sich und ziehen sich in der Regel zurück von sozialen Interaktionen.
Auf Dauer kommen gefühlsblinde Menschen nicht in positiven Gemeinschaften zurecht, man könnte ihnen Bindungsangst oder ein gestörtes Urvertrauen attestieren.
Alexithymiker*innen haben ein Defizit, leiden aber nicht an einer unheilbaren Krankheit. Oft gereicht ihnen das sogar zum Vorteil, um in der Geschäftswelt Karriere zu machen. Oder auch komplett andersherum: auf der Straße bzw. einer Parallelwelt zu leben. Ob sie dabei gesund bleiben, muss bezweifelt werden. Gefühle zu verdrängen, heißt ja nicht nicht gleichzeitig, dass sie nicht vorhanden wären.
Als unsere Großväter aus dem letzten Weltkrieg oder sogar einer Gefangenschaft mit einem damals nicht anerkannten psychischen Trauma zurückkamen und unsere Großmütter nach der Flucht bzw. vielen Bombennächten nicht mehr zu echten zwischenmenschlichen Zuneigungen fähig waren, wurde der Grundstein zu dieser "Gefühlskälte" gelegt. Nur wer anschließend noch ordnungsgemäß den Kopf über dem Wasser halten konnte und scheinbar gelassen die Alltäglichkeiten erledigen konnte, kam zurecht. Ihren Nachkommen fällt es nun teilweise schwer, ohne selbst erlebte echte Zuneigung die richtigen Gefühle zu entwickeln und passend einzuordnen. Das könnte man irgendwie zur Erklärung heranziehen.
Dazu sollte man wissen, dass erst mehr als 40 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg "posttraumatische Belastungsstörungen" nach schlimmen Ereignissen (Krieg, schweren Unfällen, lebensbedrohenden Krankheiten, Vergewaltigung, sexuelller Missbrauch, Entführung etc.) offiziell anerkannt wurden. Inzwischen wissen wir, dass unsere seelische Gesundheit von vielen Faktoren abhängt - genauso wie die körperliche Fitness vom richtigen Essen...
Aber darüber ein andermal mehr :-)
Quelle: Brigitta Möllermann, HESSENMAGAZIN.de
Im Wetteraukreis wird seit Dezember 2021 ein interessanter Gesprächskreis angeboten
Alexithymie ist keine Krankheit, kann aber das Leben kompliziert machen. Zehn Prozent der Deutschen sind gefühlsblind, leiden unter Alexithymie, sie können ihre eigenen Gefühle weder erkennen noch aussprechen. Gefühlsblinde Menschen können sich in der Gesellschaft und in ihren Beziehungen manchmal nur schwer zurechtfinden.
Gesprächskreis in Friedberg sucht Betroffene, die sich von ihrer Alexithymie im sozialen Alltag beeinflusst fühlen
Gefühlsblind zu sein heißt nicht keine Gefühle zu haben, vielmehr können Betroffene ihre Emotionen nicht erkennen oder beschreiben. So bringen sie Körperreaktionen oder Schmerzen, die in Stresssituationen entstehen, nicht mit ihren Emotionen in Verbindung. Das kann auf Dauer krank machen.
Alexithymie-Forscher Matthias Franz von der Uniklinik Düsseldorf erklärt, dass Gefühlsblinde – ähnlich wie Kleinkinder – nicht feststellen können, ob sie traurig, wütend oder ängstlich sind. Sie sagen eher: "Ich habe Bauchschmerzen oder Rückenschmerzen und weiß gar nicht, warum."
Gefühlsblindheit kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und Betroffene daher auch unterschiedlich beeinträchtigt sein. Vor allem in einer Beziehung kann es zu ernsthaften Schwierigkeiten führen, denn Gefühlsblindheit stellt das Miteinander auf eine harte Probe. Der Austausch in einem Gesprächskreis kann schon eine Brücke zu einem besseren Verständnis der eigenen Gefühle und der Umwelt bilden. Auch Angehörigen kann die Gruppe eine Möglichkeit bieten, im Austausch gehört zu werden. Je nach Entwicklung der Gruppe, können Gespräche von Betroffenen und Angehörigen separiert werden.
Die Treffen werden nicht therapeutisch geleitet und sind kein Therapieersatz. Die Gründung des neuen Gesprächskreises wird von der Selbsthilfe-Kontaktstelle des Wetteraukreises unterstützt. Regelmäßige monatliche Treffen zwischen 18 und 20 Uhr, voraussichtlich in Friedberg sind geplant. Kontakt per E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.
Quelle: Wetteraukreis, Fachdienst Kommunikation
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