Es gab einmal einen Jungen, der hatte wenig Fantasie und glaubte ganz und gar nicht an Märchen. Und seine Schwester ebenfalls nicht. Sie wollte eigentlich lieber Schiffskapitänin werden als eine Prinzessin, die in einem ollen Schloss wohnen muss. Ihre Oma war ganz verzweifelt und dachte schon, sie müsste ihre schönen alten Kinderbücher wegwerfen, weil sie nun nichts mehr zum Vorlesen für die beiden hatte... Doch da kam ihr ein kleines Männchen zu Hilfe, das am Küchenfenster auftauchte, als sie gerade dabei war, mit traurigen Gedanken den Teig für die Weihnachtskekse auszurollen.
Vielleicht sollte man dazu wissen: Zwerge sind etwas größer als Wichtel und Heinzelmännchen, trotzdem gehören sie auch zum „Volk der Kleinen“, ebenso wie Gnome, Kobolde und Trolle. Das jedoch sind jene, die anderen nicht so gerne helfen, sondern eher böse Streiche aushecken. Besonders, wenn man sie verärgert hat.
Die Oma kannte jeden von ihnen. Denn sie hatte alles gelesen, was geschrieben stand über die Heinzelmännchen von Köln, den Zwerg Nase oder die sieben Bergarbeiter, bei denen Schneewittchen eine Weile gewohnt hatte. Und natürlich auch über die Wichtel aus dem hohen Norden, die dem Weihnachtsmann zur Hand gehen.
Deswegen wunderte sie sich gar nicht, als der kleine Mann mit der Zipfelmütze an diesem Winterabend bei ihr vorbeischaute. Er setzte sich auf das Fensterbrett und fragte sie, wie er ihr helfen könne. Eigentlich hätte sie sich am liebsten von ihm gewünscht, dass er den Kindern die Handys wegzauberte, mit denen sie fast den ganzen Tag lang spielten.
Dann wäre sie mit ihnen hinausgegangen und hätte den Tieren im Wald Futter gebracht, so wie sie das jedes Jahr tat. Aber das durfte der Zwerg nicht, denn das waren Geschenke ihrer Eltern. So dachten sich die beiden etwas anderes aus.
Wie jeder weiß, können alle kleinen Leute mit Tieren sprechen
Der Zwerg rief noch in der Nacht alle Tiere aus dem nahen Wald herbei und gemeinsam beratschlagte man das Vorgehen. Als dann am folgenden Tag der Junge und das Mädchen die Oma besuchten, hörten sie aus dem Garten sonderbare Töne. Zusammen liefen sie hinaus und staunten nicht schlecht.
Da saßen sie, die Hasen vor einer Reihe von Rehen und Hirschen, die Vögel oben in den Zweigen, ein Igelpaar unter dem Apfelbaum, daneben eine Fuchsfamilie. Die ganz kleinen Waldbewohner hatten zusammen mit den Mäusen auf einer Kiste Platz genommen. Sogar ein dickes Wildschwein plus einige Eichhörnchen und zwei Wildkatzen waren gekommen. Der Wolf war nicht dabei. Er war gerade auf der Flucht vor den Jägern.
Und alle sangen... naj, irgendwie jedenfalls
Es piepste, knurrte, zwitscherte und grunzte, dazu trommelten die Wildkaninchen mit den Hinterpfoten im Takt. Das war ein nie gehörtes Tierkonzert. Die Oma lachte, als sie sah, wie der Zwerg auf dem Deckel der Regentonne einen lustigen Freudentanz aufführte, weil die Überraschung so herrlich geglückt war.
Doch es dauerte nicht lange, da drehten sich der Junge und das Mädchen um und liefen ins Haus, um ihre Handys zu holen. Sie wollten das ungewöhnliche Schauspiel im Garten fotografieren bzw. filmen.
Das aber war überhaupt nicht so gedacht! Der Zwerg schnippte zwei Mal mit den Fingern, pfiff einmal kurz. Und noch bevor die Kinder wieder in den Garten zurückkehrten, war der ganze Spuk verschwunden. In der Luft hing nur noch etwas Schneewolkenstaub. Sogar der kleine Mann mit der Zipfelmütze hatte sich unsichtbar gemacht.
Die Kinder waren sehr enttäuscht und jammerten. Die Oma tröstete sie und lud sie anschließend zu einem Spaziergang in den Wald ein. Jeder nahm einen Sack voll Winterfutter mit, um die Tiere dort zu versorgen.
Und man glaubt es kaum: Am Abend konnte die Oma den beiden endlich Geschichten vorlesen und erzählen - von Waldgeistern, Moosweiblein und Hauswichteln, einem verzauberten Reh und der reizenden Feenkönigin, deren Namen man nicht laut aussprechen darf, damit sie nicht von den Trollen entführt wird.
Letztendlich verbrachten die Kinder dann eine wunderschöne Woche mit der Oma - voll von nostalgischem Zauber und herzlicher Poesie - fast ganz ohne Handyvideos :-)
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Quelle: Brigitta Möllermann, HESSENMAGAZIN.de