[Hier und jetzt] Von der Warte eines/er 20-Jährigen aus gesehen ist schon ein/e 40-Jährige/r ziemlich alt und wird oft nicht ernst genommen. Und mit 60 Jahren erst recht nicht: "Was wissen die denn schon von der heutigen Welt?" Als die nämlich jung waren, hörten sie noch Musik auf dem Walkman von Madonna oder Michael Jackson z. B. beim Bladen in der Rollerdisco. Die Mädels trugen neonfarbene Klamotten und die Jungs Lacoste-Hemden. Im Fernsehen sah man Colt Seavers und Alf als Serienstars in lächerlich langen Szenen. Als Vorbilder dienten vielleicht Knight Rider oder Indiana Jones - zumindest als 2D-Computerspiel. Und der Flugsimulator von Diskette am Desktop-PC galt als besonders spannend.
Handys waren noch nicht State of the Art. Man verabredete sich per Festnetztelefon und über die ersten Tonbandkasetten-Anrufbeantworter. Und falls man trotzdem einmal alleine zu Hause war, gab es eine Runde Tiefkühlpizza aus dem Backofen oder heiße Minuten-Terrine im Plastiktöpfchen.
So weit so gut.
Dann begann sich das digitale Wissen rasant zu vermehren und die ersten "privaten" TV-Sender verwirrten Erwachsene mit den nicht gekennzeichneten Werbeeinblendungen. Die jungen Leute, die mehr Zeit hatten, konnten bis in die Nacht fernsehen und sich die ersten Musikvideos von MTV per Kabel "reinziehen".
Ab nun spaltete sich die Gesellschaft in Eingeweihte und Lernende. Und diesmal waren es die Älteren, die die Lebensschulbank drücken mussten. Ihre Kinder wussten sich längst die ersten Digitaluhren im Geschäft auszusuchen. Das waren solche mit zwei Knöpfen, die abwechselnd in einer bestimmten Reihenfolge gedrückt werden mussten, um zusätzlich zur Uhrzeit das Datum in leuchtenden Zahlen anzuzeigen.
Die digitale Revolution begann schleichend - unter anderem mit dem Piepsen des Modems, wenn man per Telefonleitung das Internet ansteuerte. Weiter und immer schneller voran ging es mit digitalen Batterie-Taschenrechnern in der Schule, dem schnurlosen Funktelefon und den ersten Telefonnummernspeichern beim Motorola inklusive gepixeltem Minidisplay. Telefonieren war damals noch getaktet und teuer, fotografieren dagegen wurde preiswert. Die digitale Kamera ohne Film nahm soviele Schnappschüsse auf, wie man wollte - und zwar auf einer Speicherkarte.
Den Wechsel zum Akku statt Kurbel oder Rädchen, verpassten manche. Sie hielten mit der Entwicklung nicht Schritt. Möglicherweise hatten sie etwas anderes zu tun als die "digital Natives" - oder einfach keine Lust umzudenken, so lange alles noch funktionierte wie bisher und dicke Telefonbücher als Nachschlagewerke gedruckt wurden.
Bekannt ist, dass Wissen Macht ist. Und so entwickelte sich diese leicht überhebliche Art des Enkels gegenüber Oma und Opa, denen er einige Jahre später zeigen musste, wie eine Funkmaus (tatsächlich ohne Kabel!) an den USB-Port eines Desktoprechners angeschlossen wird und sich von selbst (wirklich!) installiert. Die beiden bekamen sodann noch für ihren neuen zu Weihnachten geschenkten Laptop eine Freemail-Adresse, um damit den Kontakt aufrechterhalten zu können.
Die Rettung nahte aber letztendlich mit dem Smartphone plus Google, Facebook und WhatsApp. Alles ist so nun einfach zu bedienen, dass es kaum noch einer Einführung bedarf. Begeistert werden bergeweise Urlaubsfotos gepostet, Gruppenverabredungen getroffen und Videotelefonate geführt.
Trotz Bluthochdruck, Altersdiabetes und zuviel Cholesterin lebt es sich auch im vorgeschrittenen Alter prächtig - dank der verordneten Tabletten. Seinen Zipperlein spüren die älteren Herrschaften zwar "im Internet" nach - URL unbekannt, auch Quelle fragwürdig vielleicht... Maltodextrin, Hefeextrakt, Stabilisatoren, Farb- und Konservierungsstoffe werden dabei als nicht relevant ausgeblendet.
Egal, das Leben macht Spaß - und ist so easy beim Kochen mit dem ThermoMix, dem Rasenmähen per Roboter und mit dem ach so klugen Navi, das einen überall hinbringt. Amazonbestellungen sind irgendwie fast selbsterklärend zu erledigen. Außerdem bekommt man dort sogar die neuen hippen Barfußschuhe und sein Viagra.
Am Ende verzehrt man so manches eilig aus der Mikrowelle, tourt ohne sich abzustrampeln (dickbäuchig und rundärschig) mit dem E-Bike über Land und zappt sich abends auf der Couch durch 100 TV-Programme, oder wählt Dokus in der Mediathek bzw. Filme bei Sky & Co..
Das Denken kann man zugunsten der Bequemlichkeit jetzt fast komplett einstellen, wenn man zusätzlich Pauschalreisen statt Sportverein oder Fitness-Studio bucht.
Dann senkt sich der Staub vieler Jahre Untätigkeit aufs Hirn: Noch nie gab es so viele Demenzerkrankte wie heuer.
Quelle: Brigitta Möllermann, HESSENMAGAZIN.de