Abenteuerlich: Umzug aufs Land (c) HESSENMAGAZIN.de
Dann richten Sie sich auf ein Wagnis ein, so etwa wie früher, als man in den wilden Westen auswanderte
[Hessen und Drumherum] Da man heutzutage kaum noch die Samstagsausgabe einer Zeitung nach Immobilenanzeigen (grundsätzlich ohne Fotos) durchblättert, um eine neue Bleibe zu finden, recherchiert man in der Regel im Internet bei Immo-Scout, -net, -Welt, Focus-, Ebay-Kleinanzeigen und Meinestadt. Wer ganz naiv ist, engagiert einen werbeträchtigen "Suchagenten" und lässt sich täglich per Mail mit den immer gleichen Anzeigen nerven.
So weit, so schlecht. Das Abenteuer beginnt jedoch erst richtig richtig, wenn man versucht, Kontakt aufzubauen zu den Inserenten. Manche von ihnen, die es selbst und ohne Makler versuchen, antworten teilweise erst gar nicht: Scheinbar ist das "State of the Art"... so wie im richtigen Leben geworden.
Andere Anzeigen stammen von gewitzten Maklern, die vorab von den Suchenden erwarten, dass sie "die Hosen runterlassen" - per Selbstauskunft - oder eine angeblich "rechtlich notwendige" selbstgestrickte Nachweisbestätigung und Widerrufsbelehrung anklicken, bevor sie überhaupt eine erste Auskunft erhalten.
Natürlich gibt es auch noch Makler, die nett und fair sind und die Adressen herausgeben, damit man sich ein Haus schon einmal von außen ansehen kann. Einige von ihnen schreiben die Adresse schlauerweise gleich in die Anzeige hinein und sparen sich damit sinnlose Besichtigungsanfahrten.
Wieso sinnlos? Weil manche der Angebote auf dem Land, die lediglich als renovierungsbedürftig angepriesen werden, ausschauen wie Geisterhäuser, so dass jeder sich auf dem Absatz umdreht - ohne eine Besichtigung. Denn oft sind die Gebäude heruntergekommen und unbewohnt, weil sie nach Opas Tod oder Großmutters Umzug ins Altenheim länger leerstehen... und eventuell - zu allem Überfluss - möglicherweise zudem als MÖBLIERT ausgeschrieben sind.
Schlimm getoppt wird das Ganze, wenn ein Fachwerkhaus zusätzlich dem Denkmalschutz unterliegt. Da ist dann nichts möglich mit Solar auf dem Dach oder dem Einbau von Energiesparfenstern. Auch der Scheunenumbau zu einer Wohnmobilgarage wird wahrscheinlich nicht gelingen - egal, was der Makler behauptet!
Vorsicht ist geboten bei den Angaben
- Verkehrsgünstig (neben der Autobahn)
- Zentral gelegen (direkt an der einzigen Durchgangsstraße)
- Idyllisch gelegen (am A. d. H. gaaaanz weit draußen, Anfahrt über Feldwege)
- Einkaufsmöglichkeiten im 6 km entfernten Nachbarort (Brötchen holen = 12 km, Butter vergessen = 24 km!)
- Kapitalanlage (Haus ist langfristig vermietet)
- Einfamilienhaus von 1890 (mit früher üblichen Eternitplatten verkleidet)
- Energieausweis gesetzlich nicht erforderlich (u. a. bei weniger als 50 Quadratmeter Nutzfläche, bei Baudenkmälern, offenem Fachwerk, Ferienhäusern und Gebäuden ohne regelmäßige Beheizung wie Garagen oder Lagerhäusern, Abrissgebäuden und bei Ställen und Werkstätten)
- Sieben Zimmer - für die große Familie (alle im Kleinformat, etwa 2 m hoch)
- Dachausbau möglich (noch regnet es zwischen den Ziegeln rein)
- Eigener Bachlauf im Garten (Achtung: Überschwemmungsgefahr bei Starkregen)
- Letzte Renovierung im Jahr 2000 (Nachtspeicheröfen?)
- Interessantes Gebäudensemble (eine Riesenscheune beschattet die Terrasse)
- Hofreite (zu viele unbrauchbare Nebengebäude)
- Alle "nötigen Einrichtungen für den täglichen Bedarf" bedeutet eventuell: es gibt irgendwo einen Arzt, einen Bauernhof zum Milch holen und ab und zu kommt ein Bäckerwagen vorbei.
- Als "touristisches Highligt" gilt eine Wanderroute - meistens ohne Ruhebank unterwegs und Einkehrmöglichkeit.
- Und die "Sehenswürdigkeit" des Ortes ist ein steinernes Kriegerdenkmal am Friedhof.
Wenn Sie es trotzdem wagen wollen und glauben, Sie könnten den völlig überteuerten Haus- bzw. Grundstückspreis auf ein realistisches Niveau herunterhandeln, dann machen Sie sich außerdem noch klar: Eine Straßenbeleuchtung existiert auf dem Land nur in Wohnbebieten. Somit funktionieren Hundespaziergänge nach 17 Uhr im Winter ausschließlich mit weitreichender Kopflampe. Und in matschigen Frühjahrs- oder Herbstzeiten gibt es nirgendwo einen trockenen Spazierweg über die Felder oder durch den Wald.
Ach ja, das auch noch: Kultur heißt auf dem Land FESTZELT, Faschingssitzung, Backhausfest ;-)
Quelle: Brigitta Möllermann, HESSENMAGAZIN.de
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