[Tann / Rhön] Sowohl wegen ihres Erscheinungsbildes als auch wegen ihrer geschichtlichen Bedeutung sah der Landkreis Fulda vor mehr als 50 Jahren schon die Dorflinde am Engelsberg bei Tann als wert an, unter Schutz gestellt zu werden. So beantragte der Kreisbeauftragte für Naturschutz im März 1955 die Eintragung der „einsamen, gewaltigen und sehr hohen, uralten Linde“ als Naturdenkmal.
Zu diesem Zeitpunkt wurde das Alter des 26 Meter hohen Baumes auf 350 bis 400 Jahre geschätzt. Einsam hatte er nicht immer gestanden, sondern vielleicht sogar einmal im Mittelpunkt eines Dorfes. Denn wie der Name andeutet, handelt es sich bei ihm um das Überbleibsel einer ehemaligen Siedlung, der Wüstung Engelsberg.
Auf den Ort weist eine urkundliche Erwähnung „thannischer menner von dem Engelsbergk“ von 1501 hin. Vermutlich hat er im 15. Jahrhundert seine ersten Wurzeln hier geschlagen. Die Zeit gilt als „Blütezeit“ für die Rhön, während der wegen des milden Klimas sogar Weinanbau dort betrieben wurde. 1621 bestand das Dorf aus 23 Häusern, „alles gar arme Leuth“, wie die Zinsregister berichten. Ab 1647 zählte der Ort nur noch drei und 20 Jahre später einen letzten Bewohner.
„Wahrscheinlich war der Dreißigjährige Krieg nur der äußere Anlass dafür, dass die Höfe nach und nach verlassen wurden“, vermutet der 85-jährige Heimatforscher Willy Kiefer, der vor seiner Pensionierung in der Kreisverwaltung für die Naturdenkmale zuständig war. „Die Lage in über 700 Metern Höhe und entsprechend ungünstige klimatische Bedingungen dürften der eigentliche Grund für die Aufgabe dieser Siedlung gewesen sein.“
Heute laden eine Sitzbank und ein zum Picknicktisch umfunktionierter Mahlstein zum Rasten ein. Zu finden ist der Platz am einfachsten, wenn man vom örtlichen Rundwanderweg 8 beim Friedrichshof – dem Vereinsheim des Tanner Rhönklub-Zweigvereins – abzweigt und knapp zehn Minuten der Beschilderung zur Dorflinde folgt.
Ohne die dort aufgestellte Infotafel käme man als Wanderer nicht auf die Idee, dass hier einmal ein Dorf existierte. „Vor 20 Jahren konnte man noch Mauerreste aus dem Gras ragen sehen“, berichten Spaziergänger. Inzwischen liegen diese ringförmig angeordneten Ruinenreste in einem kleinen Wäldchen östlich des Naturdenkmals verborgen und sind nur durch gezieltes Suchen zu entdecken. Auch die Sagen zu dem Dorf, die es laut Infotafel gab, sind in Vergessenheit geraten.
Folgt man an der Dorflinde der Weggabelung nach rechts, so gelangt man zum Aussichtspunkt „Ulstertalblick“, der bis vor einigen Jahren eine Rundumsicht über das Ulstertal und die thüringische Kuppenrhön bot, die nun allerdings durch hohen Baumwuchs versperrt ist. So macht sich die Natur nach und nach wieder breit und scheint die Werke von Menschenhand zu überdauern.
Obwohl selbst Teil der Natur, wäre wohl auch von der Dorflinde als letztem Zeugnis der Wüstung am Engelsberg nicht mehr viel übrig, wenn nicht der Mensch Maßnahmen zu ihrem Erhalt ergriffen hätte: 1966 ließ der Landkreis einen angrenzenden Fichtenbestand verkleinern, da dieser den „herrlichen Baum derartig stark bedrängte“, dass dessen Krone „teilweise zum Absterben verurteilt“ war.
1977 wurde von einer Spezialfirma mittels Stahlbolzen und optisch unauffälligen Stahlseilen die Krone gesichert, es wurden zwei Anker eingebaut und die Gabelung durch vier weitere Bolzen an den Stämmlingsfüßen stabilisiert sowie Faul- und Pilzherde entfernt und behandelt. Die Kosten dafür in Höhe von 6.450 D-Mark übernahm zur Hälfte das Land Hessen und die andere Hälfte teilten sich der Kreis Fulda und die Stadt Tann. Somit lässt sich die eingangs erwähnte Wertschätzung sogar in Zahlen fassen.
Quelle: Fulda