Naturschutzklage der EU gegen Deutschland: Quittung fürs Nichtstun

Donnerstag, den 18. Februar 2021 um 13:37 Uhr Gut zu wissen - Dossier: Natur und Umwelt
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Kraniche fliegen über Land - Symbolbild (c) HESSENMAGAZIN.de

[Brüssel/Berlin] Die Europäische Kommission hat am 18. Februar 2021 beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Deutschland Klage eingereicht wegen unzureichender Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie. Sie wirft Bund und Ländern vor, die als Natura-2000-Gebiete ausgewiesenen FFH-Flächen unzureichend rechtlich zu sichern und keine ausreichend konkreten Schutzziele zu formulieren. Jetzt drohen eine weitere Verurteilung durch die Richter in Luxemburg - und bei weiterem Nichtstun - unter Umständen sogar Strafzahlungen.

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger: „Offenbar haben Bund und Länder den Warnschuss vor einem Jahr nicht gehört: Die sogenannte begründete Stellungnahme und zudem die Missstände nicht behoben."

Dass Deutschland bisher keine gebietsspezifischen Erhaltungsmaßnahmen festgelegt und umgesetzt hat, ist der schwerwiegendste Vorwurf aus NABU-Sicht. Raphael Weyland, NABU-EU-Umweltrechtsexperte: „Es ist ein Unding, dass dies auch sieben Jahre nach Einleitung dieses Vertragsverletzungsverfahrens und fast drei Jahrzehnte nach Inkrafttreten der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie noch erstritten werden muss. Dabei geht es hier um das Umsetzen von Vorgaben, zu denen sich Deutschland bereits 1992 verpflichtet hat, und nicht etwa um das Ausweisen neuer Schutzgebiete.“

Die Konsequenzen der mangelhaften Natura-2000-Umsetzung sind auch in Nord- und Ostsee nicht zu übersehen. Zuletzt dokumentierten Wissenschaftler einen Rückgang des streng geschützten Schweinswals in seiner Kinderstube im Sylter Außenriff um jährlich fast vier Prozent in den vergangenen zwei Jahrzehnten. „Weder in Schutzgebieten noch in wichtigen Wanderkorridoren wird Deutschlands einziger heimischer Wal wirksam vor den Auswirkungen von Fischerei, Schifffahrt oder Offshorewind geschützt“, kritisiert NABU-Meeresschutzexperte Kim Detloff.

Aus NABU-Sicht sind zunächst vor allem die Bundesländer am Zug. Sie müssen die Vorgaben systematisch umsetzen. Die Bundesregierung muss dies für die marinen Gebiete in der ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee tun.

„Damit in den Gebieten aber tatsächlich Arten und Lebensräume geschützt werden, ist eine ausreichende Finanzierung notwendig. Wer nicht mit Verboten und Vorgaben arbeiten will, muss Landwirten und Waldbesitzern attraktive Anreize für Naturschutzmaßnahmen bieten“, so Weyland. Basierend auf Zahlen der Bundesregierung schätzt der NABU, dass hierfür 1,4 Milliarden Euro im Jahr notwendig sind.

Weyland: „Diese müssen und können durch Umschichtung von bisher pauschal fließenden Agrarzahlungen mobilisiert werden. Doch die derzeitigen Pläne des Bundeslandwirtschaftsministeriums ignorieren dies völlig und riskieren so weiter schmerzhafte Urteile des Europäischen Gerichtshofs.“

Quelle Text: NABU


Pressemitteilung der EU-Kommission:

Die Kommission hat heute beschlossen, Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, weil das Land seine Verpflichtungen im Rahmen der Habitat-Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (Richtlinie 92/43/EWG) nicht eingehalten hat. Gemäß der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten besondere Schutzgebiete ausweisen und gebietsspezifische Erhaltungsziele sowie entsprechende Erhaltungsmaßnahmen festlegen, um einen günstigen Erhaltungszustand der dortigen Arten und Lebensräume zu erhalten oder wiederherzustellen. Sowohl im europäischen Grünen Deal als auch in der EU-Biodiversitätsstrategie wird darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass die EU dem Verlust an biologischer Vielfalt Einhalt gebietet, indem sie die Biodiversität schützt und wiederherstellt.

Die Frist für die Vollendung der notwendigen Maßnahmen für alle Gebiete in Deutschland ist in einigen Fällen vor mehr als zehn Jahren abgelaufen. Die Kommission übermittelte 2015 ein Aufforderungsschreiben. Nach eingehender Diskussion mit den deutschen Behörden übermittelte sie im Jahr 2019 ein ergänzendes Aufforderungsschreiben, gefolgt von einer mit Gründen versehenen Stellungnahme im Februar 2020.

Den jüngsten Informationen der Behörden zufolge hat Deutschland eine bedeutende Anzahl von Gebieten immer noch nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen.

Außerdem ist die Kommission der Auffassung, dass die für die einzelnen Gebiete in Deutschland festgelegten Erhaltungsziele nicht hinreichend quantifiziert und messbar sind und dass sie keine ausreichende Berichterstattung ermöglichen.

Schließlich geht die Kommission davon aus, dass es in allen Bundesländern und auf Bundesebene allgemeine und anhaltende Praxis war, für alle 4606 Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung keine hinreichend detaillierten und quantifizierten Erhaltungsziele festzulegen. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Qualität und Wirksamkeit der zu ergriffenen Erhaltungsmaßnahmen.

Daher verklagt die Kommission Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union.

Hintergrund

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, ihre gemäß der Habitat-Richtlinie festgelegten Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung rechtlich als besondere Schutzgebiete auszuweisen. Außerdem müssen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage detaillierter gebietsspezifischer Erhaltungsziele Erhaltungsmaßnahmen für die geschützten Arten und Lebensraumtypen in diesen Gebieten festlegen.

Die Kommission verfolgt mehrere Vertragsverletzungsverfahren, die die Ausweisung besonderer Schutzgebiete sowie die Festlegung von Erhaltungszielen und Erhaltungsmaßnahmen betreffen. Diese haben für die Kommission hohe Priorität, insbesondere im Hinblick auf die kürzlich angenommene EU-Biodiversitätsstrategie für 2030, mit der die Durchsetzung der bestehenden EU-Umweltvorschriften verbessert werden soll.

Weitere Informationen

EU-Naturschutzpolitik

EU-Vertragsverletzungsverfahren

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